Gedenkstätte und Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus, Ingolstadt Luitpoldpark
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Liegesteine des alten Denkmals für gefallene Soldaten des ersten und zweiten Weltkriegs – ergänzt durch einen neuen Stein für jüdische Soldaten des ersten Weltkriegs, die im Nationalsozialismus ermordet wurden.
1998
Foto: Rolf Sturm

Gedenkstätte und Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus

[5] "Auseinandersetzung mit Geschichte ist ein mühsamer Prozess, der Offenheit und Neugier erfordert. Die Zeit der wahrheitsverkündenden Denkmäler und der einfachen Antworten ist glücklicherweise vorbei. Heute geht es darum, Anstöße zum Nachdenken zu liefern. Gerade in künstlerischen Verschlüsselungen sind manche Fäden angelegt, die hilfreich sein könnten in den labyrinthischen Wegen des lrrens und Erkennens, sofern der Suchende ihnen folgen mag. Der künstlerische Zugang zur Geschichte ist anders und vor allem viel subjektiver als der wissenschaftlich-dokumentarische. Bilder und Eindrücke entstehen, von denen manche lange im Kopf des Betrachters haften bleiben. Doch sie verkörpern nicht viel mehr als einige Partikel des Ganzen. Wenn Geschichte sich zusammenfügen soll, sind weitere Anstrengungen nötig.

Der israelische Liegestein ist solch ein Bild, das eher ein Rätsel darstellt als eine Antwort gibt. In der Unauffälligkeit seiner Erscheinungsform verbirgt er seine Schlüsselrolle im Gesamtensemble. Er ist Bindeglied zwischen den verschiedenen Zeitebenen und damit zugleich aus der Zeitgebundenheit der chronologischen Abfolge herausgenommen. Er steht für das schwierige Thema der Integration und Ausgrenzung jüdischer Bürger in allen Zeitetappen unseres Jahrhunderts, ein Thema, das auch für die Zeit des Ersten Weltkriegs nicht mehr behandelt werden kann, ohne den späteren Völkermord mit zu bedenken. Er weist darauf hin, wie fragil und verletzbar die in großen Teilen schon längst vollzogene Integration dennoch war; gerade patriotische jüdische Soldaten wurden damals durch antisemitische Maßnahmen wie die berüchtigte "Judenzählung" irritiert und zum Nachdenken über ihre Identität provoziert. Der israelische Stein beinhaltet in zurückhaltend er, gleichwohl nachdrücklicher Weise einen kritischen Kommentar zur Harmonie des militärischen Ehrenmals mit seinen traditionellen Liegesteinen. Zugleich ist er ein Hinweis auf die ständige Gefährdung des heutigen Zusammenlebens."

Stefanie Endlich. Das dialogische Prinzip, Anmerkungen zum Entwurf von Dagmar Pachtner. In der Dokumentation zur Gedenkstätte. 1999, S. 13