[7-8] "In den Abendstunden des Frühjahres 2002 verwandelt sich die Landshuter Spitalkirche in eine architektonische Skulptur im ansonsten unveränderten Erscheinungsbild der gotischen Altstadt. Die zwanzig gotischen Spitzbogenfenster scheinen, durchleuchtet von blauer Neonfarbe, gleich Schattenrissen aus dem über der Isar aufleuchtenden geduckten Gebäudeumriss der Hallenkirche heraus. Der Leichtigkeit der durch die über vierhundert Quadratmeter Fensterfläche zur Lichtarchitektur verwandelten Hallenkirche steht die materielle Festigkeit des Turmes gegenüber. Aus dessen Fensteröffnungen schimmern schwache blaue Lichtflecken. Im Kontrast von Licht und Dunkel verdeutlicht das Immaterielle des blauen Lichts das Verhältnis von Masse und Öffnung und enthüllt das Vorhandene durch sanfte Wandlung des vertrauten Erscheinungsbildes als etwas in der Routine der Wahrnehmung Versunkenes. Noch aus der Ferne werden städtebauliche Achsen für die Wahrnehmung neu akzentuiert; Blicke erhalten neue Ziele, Gedanken neue Schärfe. Von der Isarpromenade bietet sich das Kirchenschiff samt Chor gar wie ein erleuchteter Isardampfer dar.
Auch die herausgehobene Lage des ehemaligen Spitals in der unmittelbaren Nähe der ältesten Landshuter Brücke über den Fluss tritt aus dem Dunkel hervor. Von hier nahm die Urbanisierung ihren Ausgang, als fortwährende Grenzüberschreitung in eine offene Zukunft mit ihren Gefahren. Ein Brückenkreuz stellte die durch Hochwasser gefährdete Anlage jahrhundertelang unter seinen Schutz. Anfang des 19. Jahrhunderts musste es auf staatliche Weisung entfernt werden, bei der Fronleichnamsprozession im Jahre 1941 wurde es als Zeichen des Widerstands durch die Stadt getragen; ein Beispiel für Überschreitungen und Ambivalenzen aus der lokalen Geschichte der Bilder. Vielleicht ist es das blaue Licht, welches die Objekte der Erinnerung aus der Ferne holt oder dem Fluss des Vergessens entreißt. Auf diese Weise vermag die blaue Kirche auch als 'geschlossenes Kunstwerk' in die Öffentlichkeit hinein zu wirken.
Dagmar Pachtners Überschreitung von 'Innen nach Außen' wirft dosiertes Licht auf einige lokale Bezugsrahmen, wobei beispielsweise die Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Leben in der Stadtgesellschaft sowie die Stadtgeschichte und ihre Bildkultur für das wechselseitige Verständnis von Installation und Lebenswelt aufschlussreich erscheinen."
Franz Niehoff. Brücken – und Grenzen. Zur Installation "Überschreitung" von Dagmar Pachtner in Heiliggeist zu Landshut, im Katalog zur Ausstellung, S. 52